Koisser macht Mut
Wenn Wirtschaft liebt
Um dem derzeitigen Weltgeschehen etwas entgegenzustellen, plädiere ich für eine „Wirtschaft der Liebe“. Kürzlich hörte ich in einer Ö1-Sendung wieder eine Unternehmerin sagen, wie wichtig die Liebe sei, aber sie im Business in den Mund zu nehmen wirke esoterisch. Genau das ist das Problem. Da nehmen wir lieber weiterhin kriegerische Metaphern in den Mund, reden von der Eroberung von Märkten und feindlichen Übernahmen und davon, jemanden aus dem Markt zu drängen. Und niemand geniert sich für diese Sprache und die zugrunde liegenden Taten. Da reden wir lieber ein bisschen von Achtsamkeit, Menschlichkeit, Nachhaltigkeit und – schon mit etwas Grusel – von Freude.
Nein, wir müssen das Ganze sehen und aufs Ganze gehen. Achtsamkeit, Menschlichkeit, Nachhaltigkeit sind alles Mosaiksteine eines Gesamtkunstwerks, das „Liebe“ heißt, und sie nicht beim Namen nennen zu wollen ist schon Verrat. Dass die Liebe der Ökonomie so wenig vertraut ist, ist ja genau das Problem, und wir lösen es nicht, indem wir klein beigeben und die Liebe heimlich umverpacken und sie so nennen, dass daraus vielleicht ein Business-Tool werden kann. Wir brauchen eine Wirtschaft der Liebe. Die Liebe hat schließlich große Vorteile und ich möchte hier wenigstens vier erwähnen:
1. Liebe ist Fürsorge. Jeder Mensch, der halbwegs gesund und der Liebe fähig ist, sorgt sich um irgendetwas. Jeder um etwas anderes, aber niemand um nichts. Die Fürsorge ist keine Buchhaltung mit einer Gewinn- und Verlustrechnung. Man sorgt sich einfach und hat dabei kein Kalkül. Steckt ein Kalkül dahinter, so steht es auch zur Disposition. Dann lässt man es beim ersten Gegenwind fallen. Das würde uns als Privatperson niemals einfallen. Die völlige Gleichgültigkeit gegenüber allem und jedem ist ein Krankheitsbild. Wir brauchen eine Wirtschaft, die zu einer interessenfreien Sorge fähig ist.
2. Liebe ist zukunftsfördernd. Lieben dient dem Leben und will es erhalten. Niemand, der seine Kinder liebt, käme auf die Idee, nach dem Nutzen dieser Liebe und seiner Zuwendung zu fragen. Niemand, der die Erde liebt, käme auf die Idee, nach dem Nutzen dieser Liebe zu fragen. Wenn man es erklären muss, ist es schon fragwürdig. Solange man in Liebe ist, handelt man bedingungslos zukunftsorientiert und lebensspendend.
3. Liebe verschenkt sich. „Die Liebe ist mehr im Liebenden als im Geliebten“, erkannte Platon. Sie ist also nicht primär dort, wo empfangen wird und die Hände aufgehalten werden, sondern dort, wo gegeben wird. Die Liebe ist Aktion. Sie wird auch in der Aktion erfüllender erlebt als in der Passivität. Liebe gibt und findet im Geben ihre Erfüllung.
4. Liebe ist sinnvoll. Die Menschen suchen bekanntlich nach Sinn, fragen sich immer wieder, ob dieses und jenes Sinn ergibt und quälen sich an Dingen, die sie für sinnlos erachten. Seit Aristoteles wissen wir, dass es um „eudaimonia“ geht, also Glückseligkeit, was auch in jedem Sachbuch über Wirtschaftsethik Erwähnung findet. Da gibt es kein großes Darüberhinaus, keinen schwer zu findenden heiligen Gral, keine metaphysische Schatztruhe. Wir leben, um „gut“ zu leben. Liebe ist ein Endzweck des Daseins. Sie braucht keine weitere Erklärung. Sie ist sinnvoll per se. Viele Produkte der Wirtschaft hingegen sind unbestreitbar ohne jeden Sinn. Sie müssen uns als „Lebensstandard“ verkauft werden. „Die Definition des Lebensstandards im Sinne von Autos, Fernsehapparaten und Traktoren ist die Definition des Leistungsprinzips an sich“, wie der Philosoph Ludwig Marcuse anmerkt. Wir haben diesen ganzen Wachstums- und Leistungsgedanken so verinnerlicht, dass wir ihn auch fraglos als Maß des Lebensstandards akzeptieren. Das Horten von „Autos, Fernsehapparaten und Traktoren“ bringt im Ranking der „eudaimonia“ bekanntlich nicht einmal Trostpunkte.
Eine Wirtschaft der Liebe wäre also fürsorglich, zukunftsfördernd, verschenkend und sinngebend. Wollen wir das? Oder ist das zu esoterisch?